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  • Das umgekehrte Leben – Werkschau Alain Jessua

  • // Juni oder Juli 2025 // Kino des DFF

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Der französische Filmregisseur Alain Jessua (1932–2017) ist ein archetypisches Beispiel für einen unterrepräsentierten, in Vergessenheit geratenen, obwohl außerordentlich bemerkenswerten Filmemacher mit einem drängend aktuellen Werk – ein „klassischer Fall“ für das Filmkollektiv Frankfurt!

Alain Jessua wurde 1932 als Sohn einer jüdischen Familie geboren in Paris geboren. Die Familie überlebte den Holocaust und in der Nachkriegszeit absolvierte er ein Philosophiestudium, bevor als Regieassistent zu arbeiten begann. Mehrere Jahre lang begleitete er in dieser Funktion die Filme einiger der damals bedeutendsten in Frankreich arbeitenden Regisseure: Jacques Becker, Max Ophüls und Marcel Carné. 

Seine erste eigene Regiearbeit war ein Kurzfilm namens Léon la lune (1956), in dem er einen obdachlosen Menschen in Paris porträtiert. Der berühmte Dichter und Filmautor Jacques Prévert schrieb den Einleitungstext für diesen Film, der den bedeutenden Nachwuchsfilmpreis Prix Jean Vigo erhielt. Dennoch dauerte es acht Jahre, bis Jessua seinen ersten Spielfilm realisieren konnte: La vie à l’envers (1964) ist eine frappierend zeitlose und bedrückende, aber auch höchst empathische Studie eines Immobilienagenten, der ein durchschnittliches Leben führt und eines Tages, wie man so salopp sagt, „den Verstand verliert“, aber in diesem als Verhaltensstörung klassifizierten introspektiven Zustand auch eine große Freiheit und Schönheit findet. Der Film wurde in den Wettbewerb nach Venedig eingeladen und dort mit dem Preis für das beste Erstlingswerk prämiert.

Auf den zweiten Spielfilm, eine Krimikomödie im elaboriert-poppigen Stil der Entstehungszeit Ende der 1960er Jahre, folgten wieder einige Jahre ohne die Möglichkeit, einen Film zu realisieren. Jessuas Rückkehr zum Filmemachen im Jahr 1973 mit Traitement de choc war dafür umso fulminanter. Mit den Stars Alain Delon und Annie Girardot in den Hauptrollen schuf er einen meisterhaft inszenierten Psychothiller mit Horrorelementen und vor allem einem für dieses Genre ungewöhnlichen gesellschaftskritischen Anliegen. Der Film spielt in einem Sanatorium, in dem Frischzellenkuren für die obersten Gesellschaftsschichten angeboten werden. Es kommt bald heraus, dass das „Material“ für diese Kuren in den untersten Gesellschaftsschichten gewonnen wird. Der Film traf seinerzeit einen Nerv in Frankreich, aber auch international; er war ein großer Publikumserfolg in Frankfurt und wurde in zahlreichen Ländern Europas verliehen, darunter auch in Deutschland (unter dem reißerischen Titel „Der Schocker“).

Jetzt begann die mittlere Karrierephase Jessuas, der innerhalb von 10 Jahren immerhin fünf Filme realisieren konnte, darunter Meisterwerke wie Armaguedon (1977) und Paradis pour tous (1982). Jessua war ein Genie darin, in spannend und kurzweilig erzählten Genrestoffen einen humanistischen und zugleich gesellschaftskritischen Gehalt hineinzubringen, der die besten seiner Filme wahrhaft unvergesslich und bewegend macht. Er arbeitete mit einigen der größten Stars der damaligen Zeit (Delon, Girardot, auch Gérard Depardieu, Jean Yanne, Stéphane Audran, Nathalie Baye, und nicht zuletzt Patrick Dewaere, dem in Paradis pour tous eine Glanzleistung gelang), die er in ungewöhnlichen Rollen besetzte, in denen man ihre berühmte Persona vergisst und sehr bald nur noch in der konkreten Rolle sieht. 

Die 1980er Jahre läuteten in ganz Europa das Ende der jahrzehntelangen Ära des klassischen auteur-Genrekinos ein, weil die Produktionsstrukturen sich wandelten und auch das Publikumsverhalten. Es wurde immer schwieriger für die Autoren unter den Genrefilmern, ihre Filme zu finanzieren, und sehr viele große Karrieren endeten entweder im kompletten Nichts oder in der Beliebigkeit der Fernsehunterhaltung. Alain Jessuas letzter richtiger Kinofilm, ein an das Kino von Chabrol erinnernder Krimi angesiedelt in der oberen Bürgerschicht (En toute innocence), kam 1988 heraus. Knapp 10 Jahre später drehte er seinen letzten Spielfilm, der aber einen winzigen Kinostart in Frankreich hatte und sonst nur noch in Italien zur Aufführung kam.

Jessua konnte aber zum Glück – im Gegensatz zu vielen anderen seiner Kolleg*innen – eine zweite Karriere als Schriftsteller beginnen und hat ab 1999 bis zu seinem Tod insgesamt acht Romane bei bedeutenden französischen Verlagen veröffentlichen können.

Unsere Reihe will auch den Schriftsteller Jessua in kurzen Auszügen seines literarischen Werkes dem Publikum vorstellen. 

Diese Reihe wird von Gary Vanisian (Filmkollektiv Frankfurt) kuratiert.

Herzlichen Dank an:

Natascha Gikas, Andreas Beilharz (DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum), Bernard Payen (Cinémathèque française)

In Zusammenarbeit mit:

Gefördert von:

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